Suchtberatung im BBZ Sylt

„Haben hier viel Zulauf!“ 

 

Sylter Spiegel vom 28.12.2019

 

Wes­ter­land.(hwi) Über zu wenig Ar­beit konn­ten sich Lars Witt­mei­er und Bri­git­te Um­breit zu­letzt nicht be­kla­gen: „Wir haben hier viel Zu­lauf, mehr als sonst im Spät­herbst üb­lich – und das ganz un­ab­hän­gig von der Tat­sa­che, dass in die­sen Wo­chen, nach der Haupt­sai­son, die Nach­fra­ge nach Rat und Hilfe immer etwas höher ist als in der Sai­son.“ Witt­mei­er, Di­plom-So­zi­al­päd­ago­ge (FH) und So­zi­al­the­ra­peut (GVS), ist im Be­ra­tungs- und Be­hand­lungs­zen­trum Sylt (BBZ) zu­sam­men mit Kol­le­gin­nen für die Sucht­kran­ken­hil­fe zu­stän­dig. Im Ge­spräch mit dem Syl­ter Spie­gel be­rich­tet er mit Bri­git­te Um­breit und Antje Berg­mann-Kup­fer über den ak­tu­el­len Stand der Sucht­hil­fe und -prä­ven­ti­on auf Sylt.

„Wir haben seit An­fang Ok­to­ber 81 Men­schen ge­zählt, die mit einem Al­ko­hol- oder Dro­gen­pro­blem zu uns kamen. Im glei­chen Zeit­raum des Vor­jah­res waren es nur 69 Hil­fe­su­chen­de.“

Der klas­si­sche Al­ko­ho­li­ker ster­be aus, sagt Witt­mei­er. Vor allem bei den Jün­ge­ren gebe es viel Misch­kon­sum – Al­ko­hol, Ko­ka­in, Can­na­bis. Auch der Me­di­en­kon­sum nehme zu. Ver­schie­de­ne Dro­gen oft am sel­ben Tag. „Man fängt mit einem Glas Bier und Schnaps an, raucht dazu einen Joint und nimmt abends Ko­ka­in“, so Witt­mei­er. Vor allem jün­ge­re Men­schen mit einem Sucht­pro­blem er­set­zen den einen Sucht­stoff – Al­ko­hol – oft in­ner­halb von kür­zes­ter Zeit durch einen neuen – Ko­ka­in. „Und man­che kon­su­mie­ren auch alles gleich­zei­tig.“

Wie es zu die­sem mul­ti­plen Sub­stanz­ge­brauch kommt? „Ein Bei­spiel: Can­na­bis und Al­ko­hol wir­ken bis zu einer ge­wis­sen Dosis je­weils be­ru­hi­gend. Und wenn dies das Ziel des Süch­ti­gen ist, kann er bei­des neh­men auf dem Weg zu mehr in­ne­rer Ruhe.“ Men­schen mit die­sen Ver­hal­tens­mus­tern zeig­ten oft eine ge­ne­rel­le Ver­an­la­gung zur Sucht. Das, so der So­zi­al­the­ra­peut, hat meist psy­chi­sche Grün­de – keine gute Kind­heit, keine sta­bi­li­sie­ren­den Be­zugs­per­so­nen. Wenn zu wenig oder gar keine Liebe von Vater und/oder Mut­ter er­fah­ren werde, rei­che oft das schon aus, spä­ter in Dro­gen zu flüch­ten. Schwie­ri­ger, so Lars Witt­mei­er ab­schlie­ßend, werde die Ar­beit in der Sucht­kran­ken­hil­fe auch des­halb, weil fast täg­lich neue Sub­stan­zen auf den Markt kämen, die auch unter Fach­leu­ten noch gar nicht be­kannt seien.

Sucht­prä­ven­ti­on

Antje Berg­mann-Kup­fer ar­bei­tet dafür, dass es zur Sucht mög­lichst gar nicht erst kommt. Sie ar­bei­tet im BBZ im Be­reich der Sucht­prä­ven­ti­on und be­sucht auf Sylt alle Schu­len zwi­schen der vier­ten und ach­ten Klas­se, seit die­sem Jahr auch der neun­ten. „Mein Ziel ist es, dass die Kin­der und Ju­gend­li­chen zu die­sem Thema einen Ei­gen­be­zug her­stel­len. Das kann kon­kret hei­ßen, dass ich den Kin­dern die Frage stel­le: Was machst du, wenn du im Stress bist? Oder: Wie gehst du mit un­an­ge­neh­men Ge­füh­len um? Greifst du dann zum Scho­ko­rie­gel? Gehst du shop­pen? Schal­test du das Smart­pho­ne ein?“ Alle Men­schen hät­ten ihre Mus­ter, mit Stress oder mit un­an­ge­neh­men Ge­füh­len um­zu­ge­hen, sagt Antje Berg­mann-Kup­fer. Um genau diese Mus­ter gehe es im Un­ter­richt. „Es geht letzt­lich um die Selbst­re­fle­xi­on – bei­spiels­wei­se um die Frage, wann ich es mir mal er­lau­ben kann, vor dem Fern­se­her zu sit­zen. Und ab wann es schäd­lich wird – näm­lich dann, wenn es ohne den Fern­se­her nicht mehr geht.“ Und wei­ter: „Wenn die Kin­der, die ich in der Schu­le be­su­che, dann mit mir zu­sam­men im Stuhl­kreis sit­zen, stel­le ich die Frage: Was brauchst du, damit es dir gut geht? Mit was füllst du dei­nen Tank für ma­xi­ma­les Wohl­füh­len? Viele Kin­der zäh­len dann ihre El­tern auf, ihre Freun­de, den Sport­ver­ein oder ihre Hob­bys.“ Was aber pas­siert, wenn davon etwas weg­fällt, viel­leicht sogar etwas wich­ti­ges, bei­spiels­wei­se nach einer Tren­nung der El­tern der Vater? Auch dar­über redet Antje Berg­mann-Kup­fer mit den Kin­dern. Denn dann bleibt für man­ches Kind nur noch der Er­satz­stoff, um das Wohl­fühl-Ge­fühl wie­der her­zu­stel­len – der Game­boy oder viel mehr zu essen. Und in man­chen Fäl­len auch gar nichts mehr.

Die guten Ge­füh­le im Bauch, der volle Tank, um im Bild zu blei­ben, und die Frage, was bei jedem ein­zel­nen Kind ganz in­di­vi­du­ell dazu führt, dass die­ser Tank auch wirk­lich gut ge­füllt ist, darum geht es ihr in ihrer Ar­beit mit Kin­dern. Ein gutes El­tern­haus, in dem Zeit für Ge­sprä­che ist, für ge­mein­sa­me Ent­schei­dun­gen auf Au­ge­hö­he, auch mal für das Aus­tra­gen eines Kon­flikts, das alles sei eine gute Grund­la­ge für ein spä­te­res Leben ohne Dro­gen. Ge­ra­de für Kin­der zwi­schen null und sechs Jah­ren sei die­ses Um­feld von enor­mer Be­deu­tung.

Im nächs­ten Jahr will Antje Berg­mann-Kup­fer, die Heil­prak­ti­ke­rin für Psy­cho­the­ra­pie und psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Sucht­be­ra­te­rin ist, eine Grup­pe für Kin­der aus sucht­be­las­te­ten Fa­mi­li­en grün­den. Ein­mal in der Woche kön­nen die Kin­der sich dann unter der An­lei­tung der The­ra­peu­tin tref­fen, mit­ein­an­der ins Ge­spräch kom­men und ge­mein­sam Dinge un­ter­neh­men. Über Ein­zel­hei­ten des An­ge­bots in­for­miert das BBZ recht­zei­tig im Syl­ter Spie­gel.

Sucht­be­ra­te­rin Bri­git­te Um­breit un­ter­streicht den Wert der Prä­ven­ti­ons­ar­beit im Be­ra­tungs- und Be­hand­lungs­zen­trum: „Diese Ar­beit ist enorm wich­tig, ge­ra­de in den Schu­len. Sie müss­te von einer hal­ben auf eine volle Stel­le aus­ge­baut wer­den, um damit auch lang­fris­tig einen bes­se­ren Er­folg zu er­zie­len.