Lockdown mit Nebenwirkungen

Die Suchthilfe im BBZ hat in Corona-Zeiten Hochkonjunktur

Von Christiane Rose

Westerland. Während der „Lockdown light“ für Ruhe auf der Insel sorgt, gibt es zumindest einen Ort, an dem ungewöhnlich viel los ist: Das Beratungs- und Behandlungszentrum Sylt (BBZ) des Diakonischen Werks Südtondern hat momentan Hochkonjunktur.
Im Fachbereich Sucht halten die Suchttherapeuten Lars-Michael Wittmeier und Brigitte Umbreit das Angebot aufrecht. Sie beobachten eine deutliche Zunahme an Klienten und gehen für das Jahr 2021 von einer Zunahme der Neuerkrankungen aus. „Wir arbeiten hier an der Basis.“ Bis zu sechs Klienten an einem Tag suchten in den Räumen im Kirchenweg 37 Beratung wegen ihres Drogenkonsums – am häufigsten wegen Alkohol, Kokain und Cannabis. Es kommen aber auch Angehörige, die sich um ein Familienmitglied sorgen. Beraten werden alle, die Hilfe brauchen – und das kostenlos.

„Wir arbeiten mit einem klaren Hygienekonzept. Die Kontaktaufnahme erfolgt telefonisch und persönlich in der offenen Suchtsprechstunde von 12 bis 13 Uhr“, erläuterte Lars-Michael Wittmeier. Ausgehend von der individuellen Problemlage werden persönliche Gespräche geführt. Nach einer coronagerechten Ausstattung der Beratungsräume war eine persönliche Beratung bereits seit Mitte April von Angesicht zu Angesicht möglich. Die therapievorbereitende Motivationsgruppe findet durchgehend mit Voranmeldung statt.

„Suchtkranke sind mit Problemen beladen, da kommt alles wieder hoch – besonders die Ängste“, sagte Brigitte Umbreit vom BBZ. Wenn jemand schon psychische Probleme habe und soziale Isolation oder Arbeitslosigkeit hinzukämen, sei das für die Betroffenen eine Katastrophe. „Für viele Suchtkranke steigt in der Corona Pandemie das Rückfallrisiko“, beschrieb Lars-Michael Wittmeier die Probleme. Und noch etwas habe sich verändert: „Wir haben es verstärkt mit sogenannten Mehrfachkrisen zu tun. Wer in seiner engen Wohnung ‚eingesperrt‘ ist, dann noch arbeitslos wird und keine sozialen Kontakte hat, greift leichter zur Flasche oder zu anderen Drogen.“

Welche Hilfe kann die Beratungsstelle geben? „Wir bieten den Menschen Halt und Struktur für die Alltagsbewältigung“, erklärte Wittmeier. Im BBZ gehe man auf die persönlichen Bedürfnisse ein, denn Beratungsarbeit sei Beziehungsarbeit.

Weiterführende Hilfen sind die Vermittlung ambulanter oder stationärer Therapie. Das BBZ Sylt arbeitet im Therapieverbund mit dem BBZ in Niebüll. Die therapeutisch geführten Gruppen finden zumeist digital per Videokonferenz statt. Für die Therapeuten ist das keine leichte Situation, um eine vertrauensvolle Beziehung zu den Klienten aufzubauen.

„Wir sind während des ersten Lockdowns im Frühjahr mit den Menschen in Kontakt geblieben“, erläuterte der Sozialtherapeut. Mit nur zwei Stellen ist die Suchtberatung auf Sylt nicht gerade üppig ausgestattet: „Noch sind wir nicht ganz am Limit, aber fast“, fasste Lars-Michael Wittmeier zusammen. „Drogen gibt es überall, auch auf Sylt“, stellte der Suchtberater im Gespräch mit unserer Zeitung fest. Und die gefährlichste Droge sei immer noch der Alkohol, „gerade, weil er gesellschaftlich akzeptiert ist“. Auch Kokain sei mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen und längst nicht mehr nur die Droge der Schönen und Reichen. Ebenso häufig werde Cannabis konsumiert, eine Droge, die zwar nicht körperlich abhängig mache, aber doch gefährlich sei, da sie Psychosen auslösen könne. Der erhöhte Wirkstoffgehalt birgt eine Gefahr, die gerade von Kindern und Jugendlichen unterschätzt wird. Antriebslosigkeit, Konzentrations- und Leistungsschwächen führten zu Problemen in Schule und Ausbildung. Die Persönlichkeitsentwicklung werde extrem beeinträchtigt und psychische Störungen verstärkten sich. „Ein Dreizehnjähriger, der kifft, versaut sich die Zukunft“, brachte der Drogenberater das Problem auf den Punkt, „der hat keine Lust mehr auf Schule oder Ausbildung“.

Im Rahmen der schulischen und betrieblichen Suchtprävention arbeitet das BBZ Sylt mit Konzepten und Veranstaltungen, um diesem Trend entgegenzuwirken.